Datenschutzrecht-Praxis

 


Neues zum Datenschutzrecht


19.11.2021

Vorratsdatenspeicherung – Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH

Nach Ansicht des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Manuel Campos Sánchez-Bordona ist die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gem. § 113a ff. Telekommunikationsgesetz (TKG) nicht mit EU-Recht vereinbar. Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung sei nur zulässig, wenn die nationale Sicherheit ernsthaft bedroht ist. Damit verweist der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 18.11.2021 auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH und verschärft dessen Rechtsposition sogar, da er die Bekämpfung schwerer Kriminalität - anders als bislang der EuGH - nicht als Ausnahmefall benennt.

Bemerkenswert ist auch das vom Generalanwalt geäußerte Unverständnis über die Vorabentscheidungsersuchen bzw. die zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen der EU-Mitgliedstaaten: Mit Blick auf die bisherige – umfassende und im Dialog mit den vorlegenden Gerichten erfolgte – Rechtsprechung des EuGH einschließlich durch dessen Großen Kammer (Rechtssache C‑623/17 sowie Rechtssachen C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18) wäre zu erwarten gewesen, dass diese Urteile vom 6. Oktober 2020 der Debatte über die rechtskonforme Vorratsdatenspeicherung ein Ende gesetzt haben. Der Generalanwalt kann vor dem Hintergrund dieser EuGH-Rechtsprechung nicht nachvollziehen, dass mit dem vorliegenden sowie dem weiteren Vorabentscheidungsersuchen (Rechtssache C-140/20) „die ständige Rechtsprechung zu Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 erneut in Frage gestellt wird.“

Hintergrund

Dem Schlussantrag des Generalanwalts und der noch ausstehenden Entscheidung des EuGH liegen zwei Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zugrunde, das in zwei Revisionsverfahren darüber zu entscheiden hat, ob die der klagenden SpaceNet AG bzw. Telekom Deutschland GmbH auferlegte Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung rechtmäßig ist. Das BVerwG möchte vom EuGH wissen, ob die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in §§ 113a ff. TKG mit EU-Recht vereinbar ist und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, dass unter anderem

  • diese Pflicht zur Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten zwar keinen spezifischen Anlass in örtlicher, zeitlicher oder räumlicher Hinsicht voraussetzt, aber
  • nur bestimmte Datenarten betrifft, und
  • die Speicherdauer lediglich zehn bzw. für Standortdaten vier Wochen beträgt.
Die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland im Jahr 2015 in §§ 113a ff. TKG neu geregelt, nachdem das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08) die früheren Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hatte und der EuGH (Rechtssache C-293/12) die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt hat.

Bewertung durch den Generalanwalt

Die Regelungen in §§ 113a ff. TKG bewertet der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zwar als „lobenswerten Fortschritt“. Sie verstoßen dennoch gegen die ePrivacy-Richtlinie (Richtlinie 2002/58/EG), weil die Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung sich auch unter Berücksichtigung der vom deutschen Gesetzgeber zumindest punktuell begrenzten Art der Daten auf eine große Anzahl von Verkehrs- und Standortdaten erstreckt. Diese Daten enthalten Informationen über eine Vielzahl von Aspekten des Privatlebens der Betroffenen. Aus der Gesamtheit dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben betroffenen Personen gezogen werden. Sie ermöglichen insbesondere die Erstellung eines Profils. Daran ändere auch nichts die begrenzte Speicherdauer von zehn Wochen bzw. vier Wochen für Standortdaten.

Der mit dem staatlichen Zugang zu diesen Daten verbundene Eingriff in die Grundrechte, die in den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der EU verankert sind, ist in jedem Fall schwerwiegend, unabhängig von der für die Pflicht zur Speicherung vorgegebenen Dauer und von der Menge oder Art der für diesen Zeitraum verfügbaren Daten, weil die Daten geeignet sind, genaue Schlüsse auf das Privatleben der betroffenen Personen zuzulassen.

Nach Ansicht des Generalanwalts kann – in Einklang mit der bisherigen EuGH-Rechtsprechung – nur eine gezielte bzw. selektive Vorratsdatenspeicherung zulässig sein, außer wenn es um die Verteidigung der nationalen Sicherheit geht.

Fazit

Der Generalanwalt hält an der bisherigen Linie des EuGH fest und macht deutlich, dass Änderungen bzgl. Art, Umfang, Speicherdauer etc. keine andere Bewertung des grundsätzlichen Verbots der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung rechtfertigen können. Allerdings weicht der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen an einem Punkt von der bisherigen EuGH-Rechtsprechung ab, ohne darauf explizit hinzuweisen. Anlasslose Vorratsdatenspeicherung soll ausnahmsweise ausschließlich zum Schutz der nationalen Sicherheit zulässig sein, während der EuGH auch die Verfolgung schwerer Kriminalität als Ausnahmetatbestand gesehen hat.

Die Entscheidung des EuGH wird in einigen Monaten ergehen. Das Gericht ist nicht an die Meinung des Generalanwalts und dessen Schlussanträge gebunden, folgt diesen aber in der Regel.

Sollten Sie Fragen zur Vorratsdatenspeicherung oder zu sonstigen datenschutzrechtlichen Themen haben oder dabei Unterstützung benötigen, können Sie mich gerne kontaktieren.


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