Datenschutzrecht-Praxis

 


Neues zum Datenschutzrecht


23.11.2023

Recht auf Auskunft/Kopie der Patientenakte – Neue EuGH-Entscheidung

Patienten haben das datenschutzgesetzlich verankerte Recht, kostenlos eine Kopie ihrer Patientenakte zu erhalten. Das hat der EuGH am 26.10.2023 entschieden (Az. C-307/22).

Der Entscheidung des EuGH erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, dem ein Fall aus Deutschland zugrunde lag. Ein Patient verlangte von seiner Zahnärztin eine kostenlose Kopie seiner Patientenakte, da er einen Behandlungsfehler vermutete und entsprechende Haftungsansprüche geltend machen wollte. Die Zahnärztin wollte eine Kopie der Patientenakte nur gegen Kostenerstattung zur Verfügung stellen, wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) vorgesehen sei.

Hintergrund

In Deutschland gibt es eine gesetzliche Regelung, wonach Ärzte verpflichtet sind, zum Zweck der Dokumentation eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen und Patienten auf Verlangen Einsicht in deren Patientenakte zu gewähren und „elektronische Abschriften“ zur Verfügung zu stellen sind. Diese Regelungen gibt es seit einem Jahrzehnt und sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), konkret in §§ 630f, 630g BGB zu finden. Die Kosten des Arztes für eine „elektronische Abschrift“ der Patientenakte sind gem. § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB vom Patienten zu erstatten.
Das datenschutzgesetzliche Auskunftsrecht gem. Art. 15 DSGVO sieht in Abs. 3 Satz 1 vor, dass Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen haben. Das hat wie die gesamte Auskunft unentgeltlich zu erfolgen, was sich aus Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO ergibt. Allerdings gilt das nur für die erste Kopie, da nach Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DSGVO für alle weiteren Kopien vom Anspruchsteller ein angemessenes Entgelt verlangt werden kann.

Vorlage des BGH

Der BGH (Az. VI ZR 1352/20) wollte vom EuGH das Verhältnis der vorgenannten Vorschriften klären lassen und zudem wissen, ob die Kostenfreiheit der „ersten Kopie“ gem. Art. 12 Abs. 5 DSGVO zwingend daran geknüpft ist, dass die betroffene Person ihr Auskunftsrecht zur Verfolgung der im 63. Erwägungsgrund Satz 1 der DSGVO genannten Zwecke begehrt, also „um sich der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können.“ Der BGH hat also klären lassen, ob es auf den Zweck ankommt, den eine betroffene Person bei der Geltendmachung ihrer datenschutzgesetzlichen Rechte verfolgt, oder anders formuliert, ob einem Auskunftsanspruch „datenschutzfremde“, wenngleich legitime Zwecke wie z.B. die Prüfung etwaiger arzthaftungsrechtlicher Ansprüche entgegenstehen.

Entscheidung

Der EuGH hat in seinem Urteil klargemacht, dass nationale Regelungen wie § 630g BGB, die vor Inkrafttreten der DSGVO erlassen wurden, eine Vorschrift im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Buchstabe i DSGVO sein und damit Beschränkungen des Rechts auf Auskunft gem. Art. 15 DSGVO vorsehen können. Allerdings dürfen solche nationalen Vorschriften Art. 15 DSGVO nicht insofern widersprechen, als sie der betroffenen Person zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verantwortlichen die Kosten für eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten auferlegt. Das heißt, wenn es sich um die erste Kopie handelt, muss eine elektronische Abschrift der Patientenakte ungeachtet § 630g Abs. 2 Satz BGB unentgeltlich erfolgen.

Der EuGH hat weiter entschieden, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der DSGVO genannten Zwecken begründet wird, also keine „rein“ oder „originär“ oder ausschließlich datenschutzrechtlichen Interessen verfolgt werden. Ein Auskunftsantrag muss nicht spezifisch begründet werden, was ebenso wie die Unentgeltlichkeit der Auskunft dazu beitragen soll, der betroffenen Person die Ausübung ihrer Rechte aus der DSGVO zu erleichtern. Das folgt aus der großen Bedeutung, die dem Auskunftsrecht in der DSGVO beigemessen wird. Daher darf die Ausübung dieses Rechts auch nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden, die der Unionsgesetzgeber nicht ausdrücklich festgelegt hat, wie etwa von der Verpflichtung, einen „datenschutzrechtlichen Grund“ geltend zu machen.

Schließlich hat der EuGH sehr konkret darüber geurteilt, was Gegenstand der Auskunft gegenüber einem Patienten ist: Der betroffenen Person muss eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller Daten überlassen werden.
„Dieses Recht setzt voraus, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in der Patientenakte befinden und unter anderem diese Daten enthalten, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie erforderlich ist, um der betroffenen Person die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu ermöglichen und die Verständlichkeit der Daten zu gewährleisten. In Bezug auf die Gesundheitsdaten der betroffenen Person schließt dieses Recht jedenfalls das Recht ein, eine Kopie der Daten aus ihrer Patientenakte zu erhalten, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an ihr vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen umfasst.“ (EuGH, 26.10.2023, Az. C-307/22, Rn. 79)

Fazit und Folgen für die Praxis

Das datenschutzgesetzlich verankerte Auskunftsrecht ist durch die Rechtsprechung in einem weiteren Teilaspekt konkretisiert worden. Weitere Entscheidungen sind nicht nur mit Blick auf die bereits laufenden Verfahren zu erwarten.

Das Recht auf Auskunft im Hinblick auf die Patientenakte kostenlose, wenn es sich um die erste Kopie handelt, die von der betroffenen Person geltend gemacht wird. Denn eine Regelung, die wie § 630g Abs. 2 BGB eine Kostentragung für den Patienten vorsieht, ist in Hinblick auf das datenschutzgesetzliche Auskunftsrecht rechtswidrig, wenn dies lediglich zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verantwortlichen erfolgt. Da der BGH im Rahmen seiner Vorlage an den EuGH genau diesen Aspekt als gesetzgeberisches Ziel genannt hat, muss sich der BGH im weiteren Verfahren damit befassen, ob die BGB-Vorschrift europarechtswidrig ist oder europarechtskonform ausgelegt und angewendet werden kann. Das ist insofern denkbar, als die Vorschrift unter Berücksichtigung des datenschutzgesetzlichen Auskunftsrechts nach Art. 15 DSGVO und der EuGH-Rechtsprechung so angewendet werden kann, dass eine Kostentragung gerade nicht für die erste Kopie gilt. Angesichts des Wortlauts und des gesetzgeberischen Willens spricht mehr dafür, die Vorschrift einfach neu zu fassen, um Rechtsklarheit zu schaffen.

Sollten Sie Fragen zum Recht auf Auskunft oder zu sonstigen datenschutzrechtlichen Themen haben oder insoweit Unterstützung benötigen, können Sie mich gerne kontaktieren.


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